Samstag, 16. Mai 2020

Rezension: Erinnere dich - Elina Hirvonen






Titel: Erinnere dich
Autor/in: Elina Hirvonen
Verlag: dtv premium
Einband: Klappbroschur
Seitenanzahl: 158
Preis: 12,50€ [D]
Reihe: -









"Ian war sich sicher: Solange er lesen und dabei vergessen konnte, dass er ein kleiner Junge war, der morgens aufstehen und zur Schule gehen musste, würde er alles mögliche aushalten. [...] Er war sich sicher, dass er mithilfe der Bücher alles ertragen konnte, egal was geschah."





Klappentext:


War es ein Unfall? Ein Mordversuch? Annas Bruder Joona ist überzeugt, dass der Vater die Familie umbringen wollte, als er mit dem Auto gegen einen Baum raste. Die häufigen, unkontrollierten Gewaltausbrüche des Vaters nähren Joonas Verdacht. Aber Joona war schon immer misstrauisch, und schließlich steigert sich die Erfahrung von Gewalt in der Kindheit bei ihm zu einer Psychose. Anna hingegen, seine jüngere Schwester, bietet dem Leben die Stirn. Zwar fühlt sie sich verantwortlich für den Bruder, aber sie behauptet auch ihr Recht auf ein eigenes Leben. Sie erlaubt der Vergangenheit nicht, unbeschränkt Macht über sie zu haben. Sie wird geliebt. Mit Hilfe ihres Freundes Ian lernt sie, ihre Erinnerungen nicht zu verdrängen, sondern sich ihnen bewusst zu stellen. Ja, als kleines Mädchen auf dem Schoß ihres Vaters fühlte sie sich geborgen, wenn sie weinen musste. Trotz allem. Sie hat gelernt, die Widersprüche des Lebens auszuhalten.


Meinung:


Der Roman ist aus verschiedenen Perspektiven geschrieben, wobei Anna diejenige ist, die hier den meisten Raum einnimmt: Sie erzählt in mehreren Rückblicken, was in ihrem Leben im Bezug auf ihre Familie passiert ist. Sie berichtet, was mit ihrem Bruder, Joona, geschehen ist. Sie ist sehr einfühlsam und fühlt sich verantwortlich für ihn und ihre Familie, auch als er aufgrund einer Psychose in der Klinik ist. Sie versucht mit aller Kraft, die sie aufbringen kann, sich und ihre Familie zu beschützen. Natürlich kann sie einiges nicht verhindern, aber auf sie zählen, kann Joona immer. Sie versucht für alle da zu sein und opfert sich anfangs ziemlich auf.

Mit der Zeit gelingt es ihr sich mehr und mehr abzugrenzen. Dabei ist es ihr nicht egal, was ihrem Bruder oder ihrer Familie passiert. Sie versucht sich zu schützen und empfindet es als notwendig, dass ihr Freund Ian nicht auf Joona trifft. Bei Ian fühlt Anna sich wohl und gut aufgehoben - sie hat Angst, dass dieses Gefühl verloren geht, wenn die beiden aufeinander treffen. Dennoch lässt sie, wenn es darauf ankommt, ihren Freund alleine, um Joona zu helfen. Sie versucht ihre Familie zu erhalten und bittet Gott um Hilfe - sie hat Angst etwas falsch zu machen.

Elina Hirvonen schafft es, die Politik miteinzubinden und kritisiert diese teilweise in Form ihrer Charaktere. Als die Anschläge auf die World Trade Center stattfinden, ist Anna in einem Taxi und glaubt an einen "Streich" des Radiosenders, bis ihr bewusst wird, dass dies leider der Wahrheit entspricht. Joona ist zu tiefst erschüttert und schreibt einen Brief an George W. Bush, der einen Rückangriff starten will.

Es ist unglaublich, wie Elina Hirvonen die Rückblicke verwendet. Es erinnerte mich vom Stil her ein wenig an "Homo faber" von Max Frisch. Sie werden genau dann eingefügt, wenn sie wichtig für die jetzige Situation sind, d.h. wenn man diese zum Verständnis des Verhaltens der Figuren braucht. Wenn man diese Rückblicke liest, kann man zu 100% nachvollziehen, warum der-/diejenige so handelt, wie sie eben handelt und/ oder denkt.

Die Charaktere sind super ausgearbeitet und vor allem Anna erscheint mir sehr sympathisch - sie glaubt an das Gute  im Menschen und gibt nie auf. Trotzdem schafft sie es für sich klare Grenzen zu definieren.

Wer es mir etwas schwer gemacht hat, ist der Vater, der Joona gegenüber sehr gewalttätig und "bösgesonnen" war. Allerdings erfährt man auch etwas über seine Vergangenheit und kann nachvollziehen, wie es in ihm aussieht - auch wenn das überhaupt keine Entschuldigung für sein Verhalten ist.

Anna und Joonas Mutter verhält sich im ganzen Roman über sehr ruhig und man erfährt nicht viel über sie. Sie erscheint sehr schüchtern, zurückhaltend und teilweise verängstigt. Sie fühlt sich hilflos und hat Angst, dass die ganze Familie zerbricht, traut sich aber nicht einzuschreiten, wenn ihr Mann ausrastet. 

Der Schreibstil ist sehr ansprechend. Er ist flüssig zu lesen und dennoch sehr ausgeschmückt und tiefgründig. Das Buch hat nur 160 Seiten, aber man hat das Gefühl, man erfährt so viel über die Personen, als wären es mindestens 300 Seiten lang. Es ist überhaupt nicht oberflächlich - Elina Hirvonen hat ganze Arbeit geleistet.


Fazit:


Ein unglaublich tolles Buch, das ich nicht aus der Hand legen konnte. Tiefgründig und toll geschrieben sind die 160 Seiten im Nu gelesen. Die Geschichte regt zum Nachdenken an und versucht die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten in Frage zu stellen. Eine absolute Leseempfehlung meinerseits!


Bewertung:













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